Über Peter Rehbergs „Fag Love“ PDF Drucken E-Mail

I.

Dass „Fag Love“ von Peter Rehberg als „Roman“ bezeichnet wird, wäre eine Täuschung, nähme irgendein Leser diese Bezeichnung ernst. Aber was bedeutet ein solches Etikett denn heutzutage schon? Mag sein, dass alles, was kein Comic, Bildband oder Sachbuch (und keine „Erzählungen“) ist, als Roman firmieren muss, damit das Publikum ein Buch überhaupt als „Literatur“ einordnen kann. Und diese Bezeichnung hält ja auch einiges aus, ist traditionell für allerhand Formen offen. Aber hier liegt der Fall doch etwas anders. „Fag Love“ ist nämlich schlicht deshalb kein Roman, weil es gar keiner sein soll. Wie die Figur Sven darin ganz richtig sagt: „Die Geschichte von Felix und Anton, von Felix und Jack, nichts als Anmerkungen, Fußnoten eigentlich. Weil ihre Geschichten in Wirklichkeit schon zuvor von der Popmusik erzählt worden sind.“ Das stimmt, meine ich, und bezeichnet auch bemerkenswert treffend die Schwierigkeit, die ich mit „Fag Love“ habe: Dieses Buch ist nicht für mich geschrieben, ich gehöre nicht zur Zielgruppe, da ich nichts von Popmusik verstehe und auf diesem Ohr völlig taub bin. Ob Madonna oder Marianne und Michael, mir ist das alles gleich, und ich halte, elitärer Schnösel, der ich bin, all diese „populäre“ Musik, ohne übrigens ein Gefühl der Entbehrung zu haben, nicht im mindesten für etwas, das mich etwas angeht. Jeder hat eben so seine Beschränkungen.
Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich „Fag Love“ auch gar nicht zur Hand genommen hätte, wenn in einer Diskussion über literarische Außenseiterperspektiven nicht der Name Peter Rehbergs gefallen wäre. Ich musste passen und gestehen, dass ich von diesem Autor noch nie gehört und also nichts von gelesen hatte. Verdammt gute Literatur sei das, wurde mir beschieden. Nanu, das gibt’s doch nicht, dachte ich mir, wenn das so ist, wenn das also ein relevanter Autor ist, auf dessen Bücher man sich beziehen kann, als müsse man sie als gebildeter, literaturkundiger Schwuler gelesen haben, dann kann dir das doch nicht so völlig entgangen sein. Das gibt’s aber doch und hat auch seine Richtigkeit. Das konnte ich nicht wissen, bevor ich „Fag Love“ las, aber ich muss es in meiner instinktsicheren Ignoranz geahnt haben, und jetzt weiß ich es. Es ist einfach so, um es nochmals zu sagen: Rehberg hat nicht für mich geschrieben, ich bin für „Fag Love“ der ganz und gar falsche Leser.
Das ist ja auch völlig in Ordnung so und kann dem Autor und seinem Text nicht zum Vorwurf gemacht werden. Wäre ja noch schöner, wenn einer für alle und jeden schreiben müsste! Aber andererseits, da ich „Fag Love“ jetzt nun schon einmal gelesen und allerhand Eindrücke davon getragen habe, will ich, wie ich es gewohnt bin, das Erlebte auch reflektieren; und das kann ich, zumindest zunächst, nur, indem ich Kriterien anlege, die ich aus anderen, ganz anderen Leseerfahrungen gewonnen habe.
Wenn „Fag Love“ ein Roman wäre, wie sollte man dann das nennen, was — ach, wen erwähn ich jetzt?, warum nicht gleich: — Thomas Mann, Marcel Proust, Hans Henny Jahnn, Jean Genet, James Baldwin oder Detlev Meyer geschrieben hatten? Die Hauptfigur in „Fag Love“ erwähnt einmal Hubert Fichte, und siehe da, an den hatte ich beim Lesen auch schon denken müssen, aber bloß wegen der mich bei Fichte schon und erst recht bei Rehberg nervenden Manie, nach ein paar Wörtern immer gleich eine neue Zeile beginnen zu müssen, nach ein paar Zeilen oder auch nur einer einzigen einen neuen Absatz. („Fag Love“ hat etwas über 200 Seiten, setzte man den Text aber in herkömmlicher Manier, käme man höchstens auf ein Drittel des jetzigen Seitenumfanges.)
Wie kindisch, nicht wahr, sich über Platzverschwendung Gedanken zu machen, Papier ist doch geduldig, in Gedichtbänden ist noch mehr weißer Raum, das stört doch auch niemanden. Aber darum geht’s gar nicht. Es geht um die Frage, was eine solche Setzweise für eine Funktion hat. Ich behaupte, es geht um Pathetik, um Großtuerei, um die Geste: Schaut her, wie wichtig ist, was ich schreibe, wie großartig, wie bedeutungsvoll. Das wäre ja sogar in Ordnung, wenn das Geschriebene dem gerecht würde. Wird es aber nicht.
Der wesentliche Unterschied zwischen Fichte und Rehberg besteht meiner Meinung nach darin, dass Fichte sich für die Wirklichkeit interessiert, Rehberg nicht. Fichte will schreibend etwas herausbekommen und darstellen, was ist. Rehberg hat nichts zu erzählen (die popsongs haben ja schon alles gesagt) und reproduziert nur Erwartbares. Dabei geht es nicht um die Stoffe. Es geht fast nie um die Stoffe. Es geht um die Art und weis, wie Material in Form gebracht wird.
Man hat mir gesagt, „Fag Love“ sei ganz aus einem schwulen Blickwinkel geschrieben. Selbst wenn dem so wäre, und ich habe da meine Zweifel, worauf richtete sich denn ein solcher schwuler Blick? Doch offensichtlich auf nichts außer vielleicht sich selbst. Der Text ist völlig weltlos.
Wenn man von „Fag Love“ wenigstens sagen könnte, es sei oberflächlich! Das ist es aber nicht. Es ist schlicht hohl. Es ist ohne Substanz, was, wie ich annehme, daran liegt, dass ja mit den im Text zitierten songs alles schon gesagt sein soll. Die Literatur hat also, wenn das stimmt, bereits stattgefunden und übrig bleibt nur das Wiederabspielen musikalischer Konfektionsware. Es wäre aber ein Missverständnis, anzunehmen, diese seien dann eben der „Ausdruck“ eines Lebensgefühls. Zwar mag es zutreffen, dass die Musik den Figuren gefällt und ihren Bedürfnissen nach akustischer Untermalung ihrer Stimmungen entspricht. Aber etwas, was man nicht selbst macht, kann einen nicht in der eigenen Unverwechselbarkeit und Unvertretbarkeit ausdrücken. Was invariabel vorgefertigt zur Verfügung steht, massenhaft, ohne jeden Bezug zu etwas Persönlichem, artikuliert nicht Gefühle, Erfahrungen, Einsichten, sondern dekoriert anonyme Situationen.
Die Figuren dieses „Romans“ haben folgerichtig keine unverwechselbaren Charaktere, nur geläufige Funktionen: der beste Freund, die beste Freundin, der schöne Mann, der hässliche Mann, der seltsame Mann usw. Keine Figur ist wirklich individuell, keine hat ein bestimmte Aussehen, einen relevanten Beruf, eine Geschichte.
So schemenhaft die Figuren sind, so schablonenhaft ist auch ihr Reden. Die Hauptfigur etwa, der Ich-Erzähler, aus dessen Perspektive alles (außer dem Anhang) formuliert ist, äußert immer wieder ganz simple Generalisierungen: Die Homos, die Heteros, die Amerikaner, die Deutschen usw. Nichts davon wird differenziert oder belegt. Wenn es da um Ironie gehen sollte, habe ich sie nicht erkennen können.
Viel Aufwand wird in „Fag Love“ mit Ortsnamen getrieben: New York, Berlin, Chicago, Los Angeles. Aber tatsächlich kommen ausschließlich diese Ortsnamen, nicht die damit verbundenen Städte selbst vor, denn diese werden nie beschrieben, ihre Eigenart wird nie dargestellt, nur schablonenhaft benannt. Was aber heißt es, dass New York „sexy“ und eine „schwule Stadt“, gar die schwulste der Welt ist? Was sind die Merkmale davon? Wie sieht das aus? Könnte man es auch anders sehen? Was heißt es, dass Berlin „besser, besser und besser“ wird? Im Vergleich wozu? Im Bezug worauf? Die Nachtlokale, die besucht werden (und viele andere Lokalitäten außer ihnen und ein paar Privatwohnungen gibt es im Text nicht), werden mit ihren Namen erwähnt, aber ihre Eigenart, ihre Atmosphäre wird nicht beschrieben. Alles ist austauschbar, ohne das wenigstens diese Austauschbarkeit zum Thema würde.
Wohlgemerkt, es geht mir nicht darum, dass es hinsichtlich der Orte (Städte und Bars) an Lokalkolorit fehlt, sondern darum, dass ich den Sinn nicht sehe, warum überhaupt namentlich genannte Orte vorkommen, wo doch das, was diese Ort ausmacht, nicht gezeigt wird. Der Verdacht drängt sich mir auf, dass die Ortsnamen Chiffren eines Codes sind, dessen Kenntnis sich mir entzieht.
Wenn also „Fag Love“ wirklich einen „schwulen Blick“ auf die Welt beschreibt oder verkörpert, dann richtet sich dieser „schwule Blick“, so meine ich, allenfalls auf sich selbst — ohne sich freilich erkennbar zu durchschauen. Eine Wirklichkeit außerhalb einer gewissen Gestimmtheit kommt in „Fag Love“ nicht vor. In der aus lauter Schablonen und Klischees bestehenden Hohlwelt dieses „Romans“ gibt es keine Gesellschaft, keine Politik, keine Wirtschaft, keine Künste und (fast) keine Literatur. Selbst Musik kommt in Wahrheit gar nicht vor. Von den Popsongs werden zwar deren Texte zitiert, nie wird eindrücklich beschrieben, wie die Musik dazu sich anhört.
Nun gut, Literatur muss nicht beschreiben. Sie muss nicht einmal erzählen. (Und die story von „Fag Love“ ist ja auch eher schlicht: boy meets boy, boy loses boy, boy meets other boy, boy dies.) Wenn es aber weder ums Beschreiben noch ums Erzählen geht, was will Literatur dann?
Ich sage nicht, „Fag Love“ sei schlecht gemacht. Gar nicht. Peter Rehberg setzt seine Sätze sehr bewusst, da gibt es nichts Undurchdachtes, nichts Nachlässiges, der Kunstwille ist stets spürbar — aber wozu all der Aufwand? (Wozu beispielsweise die Konstruktion, dass der Ich-Erzähler, in graphisch abgehobenen Einschüben, aus dem Sarg heraus spricht? Ein interessanter Einfall, aber was bringt er?) Was will der Text von seinen Lesern, was fordert er ihnen ab, wozu fordert er sie heraus?
Wahrscheinlich ist es müßig, an ein Buch, dass selbst nicht tiefschürfend sein will, solche Fragen zu stellen. Wahrscheinlich beschäftige ich mich schon jetzt mehr mit „Fag Love“, als der Text lohnt. Aber ich habe bemerkt, ich bin nicht der einzige, der diesen „Roman“ nicht auf die leichte Schulter nimmt.
Ein Werbetext sagt: „’Fag Love’ ist vielleicht der erste postmoderne Roman, der mit seiner verhalten experimentellen Sprache eine schwule Liebesgeschichte erzählt, eine Geschichte, die mit ihren Brüchen und Sehnsüchten eine Zustandsbeschreibung schwulen Lebensgefühls zustande bringt, die man anderswo lange suchen muss.“
Da werde ich also wohl ein anderes Buch gelesen haben! In dem „Fag Love“ jedenfalls, das mir vorliegt, ist weder irgendetwas experimentell (nicht einmal verhalten), sondern völlig konventionell und allenfalls ab und zu sprachlich und orthographisch manieriert, noch findet im mindesten irgendeine eine „Zustandsbeschreibung schwulen Lebensgefühls“ statt. Dieses Lebensgefühl — sollen es übrigen ausnahmslos alle Schwulen haben oder handelt es sich nur um ein Lebensgefühl unter mehreren zulässigen? — wäre denn das einer weltlosen, an Menschen und ihren Verhältnissen desinteressierten, nur um sich selbst und ihre kontingenten Befindlichkeiten kreisenden und in jeder Hinsicht rückhaltlosen Konsumbereitschaft. Ob das mit „postmodern“ gemeint ist? (Einer Vokabel. mit der man bekanntlich alles und nichts bezeichnen kann.)
Noch hymnischer kommt ein anderer Werbetext daher: „’Fag Love’ ist der stilistisch präzise gestaltete Ausdruck eines Lebens, das die postmoderne Popkultur vorbehaltlos bejaht und ihre Versprechungen ernst nimmt. Rehberg beschreibt nicht, sein Text liest sich, als stände Felix mit einem Bier an der Bar und erzählte seine Story. Die Einheit von Sprache und Geschichte erzeugt eine Intensität, die jeden in den Bann zieht, egal, ob man sich mit dem Helden identifiziert oder einem die Sorgen und Nöte dieser Generation bisher nur als plakative Lifestyle-Fragen erschienen sind. Ohne es zu wollen, ist „Fag Love“ damit ein klassischer Bildungsroman geworden, der auf zeitgemäße Art seine eigenen Perspektiven auf die Gegenwart entwickelt.“
Ich gestehe, ich weiß nicht, was stilistische Präzision sein soll. Ein Stil kann nüchtern oder überschwänglich, wortkarg oder bilderreich sein, aber inwiefern können dabei Nüchternheit, Überschwang, Kargheit oder Bilderreichtum „präzise“ sein? Vielleicht ist damit gemeint, dass ein und derselbe Stil durchgehalten wird, also ein stilistische Einheitlichkeit. Und in der Tat, die Prosa von „Fag Love“ scheint mir homogen und glatt. Aber ob das etwas Lobenswertes oder Bedenkliches ist, dafür brauchte es ein Kriterium, das, finde ich, nicht das der Präzision sein kann, sondern das das Verhältnis von Zwecken und Mitteln, von gelungener oder misslungener Gestaltung im Hinblick auf eine nachvollziehbare Darstellungsabsicht zu betreffen hätte. Was will der Text vom Leser, was bietet er ihm an?
„Rehberg beschreibt nicht …“ Stimmt. Aber ich habe auch noch nie in den Jahrzehnte, die ich selber an Tresen stand und Bier trank, jemanden so reden hören (oder selbst so geredet) wie die Figur Felix. Der Stil macht, wiewohl unkompliziert und leichtgewichtig, einen alles andere als spontanen und authentischen Eindruck, da redet niemand frei von der Leber weg, alles ist hochartifiziell, kontrolliert, statisch. Von wegen „in den Bann ziehende Intensität“! Eher seichtes Geplätscher. Von wegen Sorgen und Nöte oder auch nur Fragen (und wäre es solche des lifestyles)! Eher ein Mangel an Problemen und Konflikten, ein Dahintreiben ohne Ziel und Verstand.
Wenn „Fag Love“ also ein Bildungsroman ist, dann ist Zuckerwatte ein nährstoffreiches Grundnahrungsmittel. Dann ist Fahrstuhlmusik ein Höhepunkt abendländischen Kunstschaffens. Und dann ist im eigenen, reichlich dünnen Saft zu schmoren eine „Perspektive auf die Gegenwart“. Eine „vorbehaltlose Bejahung der Popkultur“ lässt sich Peter Rehbergs Text aber wohl tatsächlich zuschreiben. Es gab freilich mal Zeiten, in denen nicht Affirmation gerühmt wurde, sondern Kritik …
Nein, Literatur muss nicht kritisch sein. Sie muss nichts aufzeigen, nichts verändern wollen. Sie muss nicht weh tun, nicht überraschen, erschrecken, verblüffen. Sie muss keine Einblicke, Ausblicke, Durchblicke gewähren. Sie muss weder erzählen noch beschreiben. Und sie muss auch nicht, ich sagte es schon, für mich geschrieben sein. Aber wozu ein ein Text, der das alles nicht will, sondern im Grunde lediglich ein booklet zu einem (von anderen vorgegebenen) soundtrack sein möchte, denn dann überhaupt geschrieben, verlegt und gelesen werden soll, das müssen bitte andere mir erklären. Ich weiß es nicht.

 

II.

Mir scheint, mein Problem mit Peter Rehbergs „Fag Love“ ist im Grunde keines der Literaturkritik. Denn was diese betrifft, so bin ich ja sogar bereit zuzugeben, dass bei diesem Text Form und Inhalt perfekt zusammenpassen. Nur finde ich eben beides belanglos.
Mein eigentliches Problem ist, wie ich vermute: Ich kenne solche Leute wie (die Romanfiguren) Felix, Sven, Anton, Jack usw. nicht. Das heißt, ich kenne sie sehr wohl oder könnte sie zumindest kennen, aber ich möchte sie nicht kennen und habe es, wenn ich ihnen im wirklichen Leben begegnete, stets vorgezogen, nichts mit ihnen zu tun zu haben. Das deshalb, weil wir sowieso nichts miteinander gemein haben und weder ich für sie noch sie für mich in irgendeiner Hinsicht interessant sind.
Man mag es für überheblich halten, dass ich mit Leuten wie Felix, Sven, Anton, Jack usw. nichts zu tun haben möchte. Es könnte den Anschein haben, als hielte ich mich für besser als bestimmte Leute. Aber selbst wenn dem so wäre, geht es darum nicht. Tatsächlich handelt es sich bei meiner Abwehr vor allem um Selbstverteidigung eines Marginalisierten. Solche Leute, behaupte ich, sind für mich eine ernstzunehmende Bedrohung, denn sie sind in der Minderheit die Mehrheit. Sie beanspruchen und erhalten den Raum und die Aufmerksamkeit, den und die ich gern anders vergeben sähe. Sie bilden die konformistische Masse, die verhindert, dass die Schwulen eine revolutionäre Avantgarde sind.

Wie bitte? Meine ich das ernst? Irgendwie schon. Ich bin ja oldschool (sagt man noch so?). Mein Fehler: Ich werde darum wohl nie verstehen, was anderen anscheinend das Allerselbstverständlichste ist, dass man nämlich zugleich abweichend sein und angepasst sein wollen kann. Ich für meinen Teil will nicht, dass die Verhältnisse so sind, wie sie sind, und will mich nicht, zumindest nicht kommentarlos (um nicht zu sagen: nicht ohne Widerstand) in sie einfügen oder einfügen lassen. Ein „schwuler Blick“, mit dem auch nichts anderes und nichts anders zu sehen ist als mit einem nichtschwulen, interessiert mich darum nicht.
Andere sagen gern, sie hätten sich nicht ausgesucht, schwul zu sein. Nun denn, darauf sage ich, ich habe mir meine politischen Überzeugungen auch nicht ausgesucht, sie werden mir von den Verhältnisse aufgedrängt, ich muss schlichtweg dagegen sein. Aber offenbar liegt dem doch noch etwas voraus, nämlich der himmelschreiende Mangel an Bereitschaft, den Übeln dieser Welt zuzustimmen. Ästhetisches und Politisches, Schwulsein und Anarchismus haben für mich immer aufs Engste zusammengehört und sind für mich im Letzten sogar dasselbe. Damit stehe ich, ich weiß es nur zu gut, allein auf weiter Flur. Aber reden wir nicht von mir. Reden wir von Literatur.
Wozu liest man Belletristik? Jeder hat da seine eigenen Gründe. Man möchte, dass Texte einen informieren, unterhalten, beruhigen, aufgeilen, belehren, langweilen, bestätigen, abstoßen, verstören usw. usf. Das heißt, manches davon möchte man (in einer bestimmten Lage oder immer), manches nicht. Was ich je und je möchte, ist durchaus auch Geschmackssache, aber nicht nur. Vorlieben können, wenn sie reflektiert und kritisiert werden, sehr wohl zu objektiven Kriterien führen. Dann kann man mit anderen darüber streiten. Über bloße Geschmäcker soll man das ja nicht.
Mir scheint nun, dass „Fag Love“ ein vermutlich sehr gut gelungenes Buch ist für Leuten wie Felix, Sven, Anton, Jack usw. Die werden sich, vermute ich, darin wiederfinden. Ich jedoch will mich in Büchern nicht wiederfinden. Wenn ich ein literarisches Werk lese, will etwas erfahren, was ich ohne diese Lektüre nicht erfahren hätte. Von Leuten wie Felix, Sven, Anton, Jack usw. zum Beispiel wusste ich schon vorher mehr, als ich je wissen wollte.
Ich werde mich hüten, hier jetzt mit dem Kafka-Zitat anzukommen, ein Buch müsse eine Axt sein für das gefrorene Meer in uns. Ich sage bloß: Ich bevorzuge Bücher, die sich zur Wirklichkeit querstellen oder mich, indem sie sich auf herausfordernde Art nicht querstellen, dazu nötigen, mein Querstehen zu überdenken.
„Fag Love“ ist durch und durch konformistisch. Was die Figuren dieses Textes denken, sagen, tun und die Art und Weise, wie dies mitgeteilt wird, steht in keinerlei Widerspruch zu den herrschenden Verhältnissen. Nein, ein Roman muss nicht zwangsläufig von Waldsterben und Welthunger handeln, um erlaubt zu sein. Im Gegenteil. Es dürfen sogar die allerbanalsten, ja scheinbar völlig unpolitische Stoffe sein, die gestaltet werden. Aber um mich nicht zu langweilen und abzustoßen, sollte ein literarischer Text doch wenigstens in irgendeiner Hinsicht ein klitzekleines bisschen wider den Stachel löcken.
„Fag Love“ ist, wenn ich das so sagen darf, ein Groschenheft auf hohem technischen Niveau. Auch von solchen Texten werden ihre Leser wohl sagen, sie seien intensiv und zögen sie in ihren Bann. Und sie werden nicht Unrecht haben, wie auch die Leser von „Fag Love“, die ihr Leseerlebnis so beschreiben, nicht Unrecht haben. Falsch aber ist es, wenn gesagt wird, schlechterdings jeder werde von der Intensität in den Bann gezogen. Mindestens einer wurde das nämlich nicht.
Da hilft es nichts, mir aufzuzeigen, wie gut gemacht der Text ist. Auch Werbespots können verdammt gut gemacht sein, aber dass ich das bemerke, heißt nicht, dass ich das beworbene Produkt auch kaufen will, was ja wohl der Zweck der Werbung sein dürfte. Im Gegenteil, je raffinierter der Werbespot zu etwas ist, das ich für überflüssig oder gar schädlich halte, umso größer ist mein Ärger, Ekel, Widerspruch. Zwar passen in solchen Fällen Form (Raffinesse) und Inhalt (Drecksprodukt) perfekt zusammen, aber ich bin trotzdem dagegen.
Da meiner Wahrnehmung nach Rehbergs Text der Substanz entbehrt, also des relevanten Stoffes, halte ich mich in erster Linie daran, was mir die Form, in der das Banale präsentiert wird, zu kommunizieren scheint. Und da finde ich die Werbetextformel von der „vorbehaltlosen Bejahung der Popkultur“ zutreffend, sie bringt für mich das, was mir in jeder Hinsicht (also ästhetisch, emotional, intellektuell) an diesem Buch zuwider ist, auf den Punkt. Die Art und Weise, in der Rehbergs Text geschrieben ist, ist ein ständiger Appell zur unkritischen Hinnahme, zur Geistlosigkeit, zu dem, was man früher mal „falsches Bewusstsein“ genannt hat. Mich spricht das nicht an. Der Aufruf verfehlt mich.
„Fag Love“ verfügt, nehme ich als Unberufener einmal an, über die Intensität eines Werbespots, einer Bildzeitungsschlagzeile oder eben eines popsongs. Und ist derlei auch noch so geschickt gemacht, bei mir verpufft der mutmaßlich beabsichtigte Effekt in der Regel trotzdem. Nach wie vor bin ich überzeugt, dass nicht jeder Text für jeden geschrieben ist. Nicht Literatur als solche „führt, wohin sie will“, sofern man für sie offen ist, nur gute Literatur schafft das. Weniger gute Literatur erzeugt — bei mir jedenfalls — bloß Widerwillen gegenüber ihren Verführungsversuchen. Dorthin nämlich, wohin mich meinem Eindruck nach „Fag Love“ führen will, will ich gar nicht. Und wollte ich nie. Ich war schon mal dort (oder zumindest nah dran), und es hat mir ganz und gar nicht gefallen.

 

III.

Während die ersten beiden Teile dieser Auseinandersetzung mit Rehbergs "Fag Love" auf eine Diskussion zurückgehen, die öffentlich geführt wurde (nämlich hier), trage ich in diesem dritten Teil das Ergebnis der nicht öffentlichen Diskussion nach, die ich mit Joachim Bartholomae, Rehbergs Verleger, über den "Roman" führte. das ist einfach, denn es gibt keines. Bartholomae beharrte darauf, man müsse einsehen, dass Rehberg ein großartige Autor sei, während ich darauf beharte, nicht über den Autor zu sprechen, sondern über den Text. Bartholomae hilt mir vor, nicht konkret genug zu werden, aber sobald ich direkt aus dem Text zitierte, kamen nichts als Ausflüchte und Witzeleien.
Ich zitierte aufs geratewohl irgendeine Stelle: "Wir liefen durch New York wie Kinder vor Weihnachten." Ich finde das nach wie vor ein gutes Beispiel für verunglückte sprachliche Gestaltung. Denn wovon ist die Rede? Wie um Himmels willen laufen denn Kinder vor Weihnachten, ob nun in New York oder anderswo? Gemeint ist vermutlich: Wir liefen durch New York in einem Gefühl der Erwartung und Vorfreude, wie es Kinder vor Weihnachten empfinden. Ob das ein gutes Bild ist, sei dahingestellt; denn der so spricht, befindet sich ja bereits in New York und erlebt die Stadt, während die Erregung der Kinder dem noch ausstehenden Fest und wohl den erhofften Geschenken gilt. Jedenfalls aber bezieht sich das "wie Kinder" usf. doch wohl nicht auf das Laufen selbst, obwohl es so dasteht, sondern auf die Empfindungen, die das Erlebnis der Stadt auslöst. Der Vergleich ("wie") hinkt also nicht bloß, er ist gar keiner. Man könnte nun die sprachlich-gedankliche Verrenkung als Poesie eigner Art nehmen: Wir liefen durch die Stadt wie Äpfel und Birnen. Aber der Rest des Textes gibt keinen Anlass zu solcher Deutung. Die zitierte Stelle ist schlicht schlecht geschrieben.
Ich bleibe dabei: Der ganze Text ist misslungen und belanglos. Dass heißt nicht, dass er nicht seine Leser (wie ja auch seine Verleger) findet, sagt dann aber mehr über Unempfindlichkeit gegenüber schlecht gemachtem Popgeschwätz aus als über literarische, welterschließende Qulaitäten. Das heißt übrigens nicht (wie es ijn der Diskussion mehrfach hingedreht wurde), dass ich Rehberg für einen schlechten Autor (gar einen schlechten Menschen) halte. Ich kenne nur diesen einen Text von ihm und nur über diesen habe ich mich geäußert.

 
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