„Ja das ist meine Melodie“. Über Bruno Balz PDF Drucken E-Mail

Am 6. Oktober 1902 wurde Bruno Balz geboren. Denn kennen Sie nicht? Aber Sie kennen garantiert seine unverwüstlichen Schlagertexte.

Wer kennt sie nicht, die von Zarah Leander, Heinz Rühmann, Ilse Werner, Hans Albers, Evelyn Künneke u.v.a.m. gesungenen Schlager: „Kann den Liebe Sünde sein“, „Er heißt Waldemar“, „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn“, „Davon geht die Welt nicht unter“, „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“, „Ich brech die Herzen der stolzesten Fraun“, „Berlin, die ewig Junge Stadt“, „Das gibt es nur in Texas“, „Sing, Nachtigall, sing“, „Es liegt was in der Luft“, „Wir wollen niemals auseinander gehn“ …
Weniger bekannt ist der Mann, der die Texte dieser Schlager (und vieler anderer mehr) verfasste. Er hieß Bruno Balz und wurde vor einhundert Jahren, am 6. Oktober 1902 in Berlin geboren. Über seine frühen Jahre ist wenig bekannt. Eine kaufmännische Lehre brach er ab und widmet sich der Schriftstellerei. Seine ersten Texte erschienen in den „Lustigen Blättern“ und dem „Acht-Uhr-Blatt“. Bis 1932 arbeitete Balz dann im Verlag Friedrich Radszuweit, der unter anderem „Das Freundschaftsblatt“, die „Blätter für Menschenrechte“ und „Die Insel. Magazin der Einsamen“ herausgab — Homosexuellen-Zeitschriften, für die Balz zahlreiche Beiträge schrieb. Zusammen mit Hermann Dressler verfasste Balz damals übrigens auch die erste schwule Detektiv-Geschichte: „Till Mark“.
Bruno Balz war überhaupt, soweit das unter den Bedingungen einer massiven gesellschaftlichen Diskriminierung möglich war, ein selbstbewusster Schwuler. Schon als 18-Jähriger hatte er Magnus Hirschfeld kennengelernt, den Sexualwissenschaftler und Vorkämpfer für die Reform des Sexualstrafrechts. Später war Balz auch mit Adolf Brandt gut bekannt, dem Publizisten und Photographen, der in der Nachfolge Stirners und Nietzsches Anarchismus und Männlichkeitskult verband. Bruno Balz war in der hauptstädtischen Schwulenszene der Weimarer Republik kein Unbekannter.

„Mir ist so komisch zumute, ich ahne und vermute: Es liegt was in der Luft.“
Aber schwules Selbstbewusstsein hin oder her: Es galt der § 175, also das Totalverbot der männlichen Homosexualität, und Bruno Balz musste jederzeit damit rechnen, angezeigt, angeklagt und verurteilt zu werden. Die Bedrohung nahm selbstverständlich nach der „Machtergreifung“ der Nazis 1933 bedeutend zu. Und tatsächlich wurde Balz in den 30er Jahren von einem Hitler-Jungen denunziert, dem er sich unsittlich genähert haben sollte.
Balz wurde festgenommen. Dass er nicht in einem Gestapo-Folterkeller oder einem KZ zu Tode geschunden wurde, verdankte er einer Freundin, dem Ufa-Star Zarah Leander, und einem Freund, dem Filmkomponisten Michael Jary. Die beiden hatten sich bei Goebbels für Balz verwandt und seine Freilassung erwirkt. Jary half damit einem Freund, der ihm zuvor selbst geholfen hatte.
Die Karriere des katholischen Oberschlesiers Max Jarczyk als ernsthafter Komponist war nämlich im Februar 1933 plötzlich zu Ende gewesen, als der NS-Kamfbund für deutsche Kultur seine Musik als „kulturbolschewistisches Musikgestammel eines polnischen Juden“ diffamiert hatte … Jarczyk musste sich fortan unter falschen Namen als Varietékünstler, Arrangeutr und Chansonschreiber verdingen, bis ihm von Bruno Balz eine Stelle als Filmmusiker verschafft wurde. Vom Assistenten brachte es Michael Jary, wie er sich nun nannte, zum selbständigen Komponisten, er schrieb zunächst symphonische Hintergrundmusik und Schlager. Mit „Roter Mohn“ gelang ihm schließlich auch der Durchbruch. Den Text dazu hatte selbstverständlich Bruno Balz geschrieben …
Und nun, als Balz selbst in höchster Not war, setzte Jary aus Dankbarkeit alles auf eine Karte. Er erklärte Goebbels rundheraus, ohne den Textdichter Balz nicht schaffen zu können, was der Propagandaminister verlangte: „Durchhaltelieder“. Dass die deutschen Unterhaltungskomponisten optimistische Schlager schreiben mögen, um so „deutschen Menschen … in forschem und fröhlichen Takt zuzurufen: Kopf hoch, Volksgenossen!“, war immerhin eine Goebbelsche Weisung, die ausdrücklich auf den „persönlichen Wunsch des Führers” zurückging. Jarys gewagte Rechnung ging auf, Balz kam frei.

„Wir lassen uns das Leben nicht verbittern, keine Angst, keine Angst, Rosmarie!“
Aus der Haft entlassen, an deren Folgen er noch lange litt, machte sich Bruno Balz gemeinsam mit Michael Jary an die Arbeit. Tatsächlich gelang ihnen mit dem nicht nur in der Wehrmacht ungeheuer beliebte Lied „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ ein erster großer Erfolg. Noch erfolgreicher freilich war einige Jahre später der Schlager „Davon geht die Welt nicht unter“.
Bei der obligatorischen Vorführung von Text und Melodie dieses Liedes schien Goebbels nicht richtig hingehört zu haben, jedenfalls gab er es zur Veröffentlichung frei und ordnete sogar an, es nachträglich in den bereits abgedrehten Propaganda-Film „Die große Liebe“ einzufügen. Gesungen wurde es dort von Zarah Leander. Erst später, als der Film bereits in allen Kinos lief und ganz „Großdeutschland“ den Walzer von Jary und Balz sang, dürfte Goebbels dann doch geahnt haben, das da etwas nicht ganz richtig war, aber ohne sich völlig zu blamieren konnte er Film und Lied nicht mehr verbieten lassen.
„Davon geht die Welt nicht unter“ ist nämlich zwar einerseits durchaus der gewünschte fröhlich-forsche Durchhalteschlager, aber andererseits gerade wegen seines an Galgenhumor grenzenden Optimismus auch wieder ganz anders zu verstehen, nämlich als heiter-zynische Absage an den Ewigkeitsanspruch des Dritten Reiches, dessen katastrophales Ende sich an allen Fronten und in den zerbombten Städten abzeichnete. Sich nicht unterkriegen zu lassen, auch wenn der Größenwahn der Machthaber alles in den eigenen Untergang mit hineinziehen will — das ist auch eine Botschaft dieses Liedes.
Bruno Balz jedenfalls war gerettet. Er blieb als wichtiger Mitarbeiter der staatlich gelenkten Unterhaltungsindustrie vor weiteren Nachstellungen verschont. Um sich noch weiter abzusichern, ging er eine Scheinehe ein. Am Ende behielt er dann Recht: Das Dritte Reich, aber nicht die Welt war untergegangen, und er hatte überlebt. Kann man ihm das vorwerfen?
An Bruno Balz wie an alle anderen, die im NS-Kulturapparat tätig waren, kann nämlich selbstverständlich die Frage gerichtet werden, ob sie nicht dazu beitrugen, ein verbrecherisches Regime an der Macht zu halten. Im Fall Balz ergibt sich die Antwort aus den Gegenfragen: Hätte Balz sich lieber umbringen lasssen sollen, statt für die Nazis zu arbeiten? Kann man ernstlich annehmen, dass all die Durchhaltefilme und ihre Durchhalteschlager den Krieg auch nur um einen Tag verlängert haben?

„Ich werde nicht mehr klug aus mir, doch das ist mir egal!“
Balz war kein Täter, kein Mitläufer und er war, was sein gutes Recht war, bemüht, nicht zum Opfer zu werden. Außerdem sollte man, ohne es überzubewerten, auch das widerständige Moment würdigen, das oft in den Balzschen Texten versteckt ist. „Davon geht die Welt nicht unter“ wurde bereits erwähnt. Ein anderer Fall ist „Waldemar“: „Mein Ideal auf dieser Welt, das ist für mich der kühne Held, der große blonde Mann. Er kommt aus einem fernen Land und gibt mir seine starke Hand, die mich zerbrechen kann“, sang bekanntlich die Schwedin Zarah Leander. Und weiter: „So sieht der Mann meiner Träume aus, sein Name ist Ralf oder Per. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus, bitte hören Sie mal her: Er heißt Waldemar und hat schwarzes Haar, er ist weder stolz noch kühn, aber ich liebe ihn ...”
Mitten im Dritten Reich einen großstädtischen schwarzhaarigen Jungen mit womöglich slawischem Namen gegen edle skandinavische Recken auszuspielen, war eine geniale Pointe. Mag sein, dass die Machthaber, von denen ja auch keiner dem offiziellen germanischen Heldenideal ähnlich sah, solche Späße als Ventil zuließen, um die offen zu Tage liegende Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit erträglicher zu machen. Damit waren sie aber zugleich gezwungen, ihre eigene Unzulänglichkeit und die Beschränktheit ihrer Macht zumindest implizit einzugestehen.

„Der Wind hat mir ein Lied erzählt, von einem Glück, unsagbar schön.“
Das besondere Geschick, mit dem Bruno Balz Liedzeilen dichtete, die mehrdeutig lesbar waren, hat sicherlich auch mit seinen Erfahrungen als Schwuler zu tun. Bemerkenswerterweise hat Balz gerade für Zarah Leander, die Sängerin, mit der dunklen, tiefen, männlich konnotierten Stimme, Liebeslieder geschrieben, die nicht nur voller Sehnsucht, Entsagung, stiller Kraft und bitterer Heiterkeit sind, sondern die auch völlig geschlechtsunspezifisch formuliert waren: Ob da eine Frau einen Mann oder ein Mann einen Mann ansingt, ist oft vom bloßen Text her nicht zu entscheiden … Das mag übrigens, neben ihrer starken persönlichen Ausstrahlung, dazu beigetragen haben, dass Zarah Leander zu einer „Schwulen-Ikone“ wurde. „Wenn ich ohne Hoffnung leben müsste, wenn ich glauben müsste, dass mich niemand liebt, dass es nie für mich ein Glück mehr gibt — ach, das wär schwer! … Doch ich weiß mehr: Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen, und dann werden tausend Märchen war. Ich weiß, so schnell kann keine Liebe vergehen, die so groß ist und so wunderbar.“
Für seine Freundin Zarah verfasste Balz auch jenes Lied, das neben dem eben zitierten „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ geradezu ihr Markenzeichen wurde: „Kann den Liebe Sünde sein?“ Diese Absage an jede religiös-moralische Bevormundung enthält bekanntlich die rebellischen Zeilen: „Niemals werde ich bereuen, was ich tat, und was aus Liebe geschah … Liebe kann nicht Sünde sein. Auch wenn sie es wäre, so wär es mir egal, lieber will ich sündigen mal, als ohne Liebe sein!“ Man wird nicht fehlgehen, wenn man hier ein deutliches Echo von Balz schwulenpolitisch-emanzipatorischem Engagement vor 1933 zu hören vermeint.

„Ich kann nun mal nicht anders, ich muss nun mal so sein!“
Bruno Balz war auch nach 1945 noch ein gefragter Autor. Bis in die 60er Jahre hinein schrieb er eingängige Schlagertexte, die u.a. von Heidi Brühl, Bully Buhlan, Vico Torriani und Heintje interpretiert wurden. Aber auch die Schlager aus den 40ern blieben sehr populär und mancher Interpret von damals kam gern wieder auf Balz zurück.
Evelyn Künneke z.B., die 1941 mit dem swingenden Filmsong „Sing, Nachtigall, sing“ zum Star geworden war, einem Lied, das bei den Soldatensendern nur von „Lili Marleen“ an Beliebtheit übertroffen wurde, machte den Balzschen Text mit der Jaryschen Melodie zu ihrem lebenslangen Markenzeichen.
Und Heinz Rühmann sang 1955 in dem Film „Wenn der Vater mit dem Sohne“ zusammen mit dem kleinen Oliver Grimme das rührende „La-Le-Lu, nur der Mann im Mond schaut zu“, das Ende der 90er Jahre in einer leicht modernisierten Version eine erstaunliche Wiederkehr erlebte und seither aus den deutschen und österreichischen Kinderzimmern als Einschlaflied kaum noch wegzudenken ist.
Bis heute also sind die Bruno Balz getexteten Lieder sehr populär. Ihre Zahl ist Legion, es ist unmöglich, sie hier vollständig aufzuzählen. Gewiss verdanken sie ihre Beliebtheit auch dem Können der beteiligten Komponisten, aber ihre Unverwüstlichkeit hat nicht zuletzt mit der ausdrucksstarken und witzigen Raffinesse der Texte zu tun. So kann man denn abschließend sagen, dass Bruno Balz, den Bedrohungen durch Strafrecht und NS-Willkür zum Trotz, dann doch noch ein langes, erfülltes und erfolgreiches Leben hatte. Er starb am 14. März 1988 in seiner Villa in Bad Wiessee.

Unter dem Titel „Ja, das ist meine Melodie“ erschien dieser Text in Volksstimme 40 / 3. Oktober 2002, S. 10.

 
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