Trauermarsch der Paradiesvögel (CSD 1997) Drucken

Zur Wiener Regenbogenparade 1997

Vermutlich macht es einfach Spaß, bunt und laut die Ringstraße hinunterzuzockeln, von Polizisten beschützt, von Touristen begafft. Und gegen ein solch harmloses Vergnügen ist ja auch nichts einzuwenden — meinetwegen könnte es jeden Monat oder jede Woche stattfinden. Ärgerlich wird’s nur, wenn der Spaß als Politik ausgegeben wird.
Waren politische Demonstrationen üblicherweise immer Ausdruck von etwas (Empörung, Klassenbewußtsein) und Eintreten für etwas (höhere Löhne, gesellschaftliche Veränderung), so etablierten spätestens die Neunziger Jahre etwas Neues: die Demo als amüsanter Selbstzweck, als lustvolle Selbstdarstellung, deren politischer Gehalt mit dem nicht einmal mehr zynisch gemeinten Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ hinreichend erfaßt ist.

Hingehen, zuschauen, Spaß haben
Aber eine Regenbogenparade ist keine Free Party oder Love Parade. Als geniere man sich des ansonsten konstitutiven Hedonismus oder erinnere sich gar daran, daß es früher mal eine echte Homosexuellen-Bewegung gab, erklären die Veranstalter und deren Sympathisanten die Ringstraßenprozession kurzerhand zum politischen Ereignis.
Im Szene-Fachblatt „connect“ (Juni/Juli ‘97) schreibt Hans Specht: „Niemals sonst ist es derart einfach, den gemeinsamen Zielen aller gleichgeschlechtlich L(i)ebenden, Trans-X-Menschen und FreundInnen näher zu kommen. Hingehen, zuschauen, Spaß haben. (…) Bei jedem Wetter. Mehr ist für den einzelnen nicht zu tun.
Na prima. Dabeisein, konsumieren und sich amüsieren als politische Aktivität. Vielleicht freilich darf man dem einzelnen doch zumuten, sich wenigstens über den Sinn und Zweck seiner Anwesenheit, die Absicht der Veranstaltung Gedanken zu machen?
Was sind diese ominösen „gemeinsamen Ziele“, von denen Specht spricht? Sind sie mit „hingehen, zuschauen, Spaß haben“ schon vollständig aufgezählt — oder ist da noch was? Man darf spekulieren.
„Der Weg zur Gleichstellung führt über den Ring“, hieß es sinnigerweise. Gewiß war darin wieder einmal die Forderung nach der Homo-Ehe („Trau-Ring“) verklausuliert. Darüber hinaus freilich werden mit dem Motto zwei grundlegende Themen angesprochen: Integration („Gleichstellung“) und Öffentlichkeit („Ring“).

(Un-)Sichtbare Zuschauer
Wenn, wie es gerade im Umfeld der Regenbogenparade immer wieder geschieht, von „Sichtbarkeit“ als Forderung und Ziel die Rede ist, dann stellen sich wie von Selbst zwei Verständnisfragen: Wer oder was soll sichtbar werden? Und: Für wen?
Wer sich sichtbar macht, ist augenscheinlich leicht festzustellen. Aber was wird sichtbar gemacht — außer einer Behauptung („Wir sind so“)?
Der Sichtbarkeits-Diskurs unterstellt eine mehr oder minder identifizierbare Sache namens „Homosexualität“ und leitet daraus eine positive Identität der Homosexuellen ab, noch dazu eine gemeinsame, die also frauenliebenden Frauen ebenso zukommt wie männerliebenden Männern.
Worin aber besteht diese Identität? Ist die Unterstellung ihrer essentiellen Existenz nicht bloß ein soziokulturelles Konstrukt, das bestimmte Erfahrungen und Verhaltensweisen normiert und damit als einheitliche, aber besondere entsorgt — statt ein Problem daraus zu machen, das alle angeht? Mit der Sichtbarkeit ist es im übrigen so eine Sache. Gesehen werden zu können, das heißt ja nicht bloß, daß man sich endlich so zeigt, wie man glaubt, daß man ist. Es heißt auch. erkannt, durchschaut, eingeordnet, überwacht werden zu können. Sichtbarkeit ist nicht nur die Voraussetzung öffentlichen Auftretens, sondern auch öffentlicher Kontrolle. Die Macht des Blickes gestaltet das Bild.
Als in den Siebziger Jahren der Slogan „Macht euer Schwulsein öffentlich!“ kursierte, geschah dies unter dem Einfluß der feministischen Erkenntnis, daß das Private politisch sei. Keineswegs war damit beabsichtigt, Politik durch Selbstdarstellung zu ersetzen. Vielmehr sollte die Öffentlichkeit mit ihrem Verdrängten konfrontiert und so eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erzwungen werden. Sichtbarkeit heißt letztlich Integration. Man zeigt sich (zum Beispiel bei der Regenbogenparade) genau so, wie die Heteros sich die Homos vorstellen: schrill, bunt, lustig. Also harmlos. Das als Forderung maskierte betteln um Integration beruht auf der naiven Überzeugung, bei der Zurückweisung der Homosexuellen durch die bürgerliche Gesellschaft handle es sich um ein Mißverständnis. „Seht her“, rufen die Integrationisten, „wir sind ganz normale Bürger!“ Der integrationswillige Schwule beansprucht als Steuerzahler und Konsument nichts weiter als das, was er für sein gutes Recht hält. Er will auch de jure sein, was er de facto ist: ein Spießer.

Zur Not als Exot
Daß „Integration“ nichts anders bedeutet als Eingliederung in unveränderte — und daher unverändert schlechte — gesellschaftliche Verhältnisse, ist dem Beitrittswilligen egal. Nur zu gern ist er bereit, das Bestehende zu begehren, wenn er dafür darin aufgenommen wird und sein Plätzchen zugewiesen erhält. Zur Not auch als Exot.
Die eigene, oft beschworene Andersheit steht übrigens einem solchen Aufnahmebegehren nicht im Wege. Statt Motiv und Instrument gesellschaftlicher Veränderung zu sein, wird sie zum Vehikel der Integration. Denn wer dazugehören will, muß sowieso anders sein, die anderen sind ja auch alle anders. Der demokratische Pluralismus der Konsumgesellschaft will keine eintönige Uniformität, er fordert und fördert vielmehr konformistische Buntheit.
Wenn ein Schwuler mal gerade nicht Modeschöpfer oder wenigstens Friseur ist, dann ist er doch immer noch als Trendsetter zu gebrauchen. Schließlich hat alle Welt immer schon gewußt, daß unsere homophilen Mitbürger ganz besonders kreativ und sensibel und so weiter sind. So wurden denn in den letzten beiden Jahrzehnten aus den im Verborgenen ihr Unwesen treibenden Dunkelmännern fröhlich flatternde Paradiesvögel. Die Hochglanz-Schwulen dienen einer aufs Spektakuläre fixierten Medienwelt als Avantgarde des Konsumismus.
Kein Mode-Thema (Körperschmuck, Klamotten, Ecstasy, Tekkno, Neo-Sex …), das nicht Monate oder gar Jahre vor seinem Auftauchen in den Frauen-, Jugend- und Zeitgeistzeitschriften schon längst durch die einschlägige Szene gewandert wäre.
Aus dem schwulen Archipel als freier Zone anti-normaler Lebensgestaltung wurde eine Club-Med-Variante der Insel der schwulen Glückseligkeit. Das mediale Interesse formt sich einen Homo-Körper nach dem eigenen Geschmack: jung, dynamisch, fröhlich, oberflächlich und (wenigstens äußerlich) gesund. Und so entstehen neue Normen, gleichsam Metastasen der spießbürgerlichen Normalität.
Wer dem Bild nicht entspricht, fällt aus dem Rahmen. Doch auch ihm kann geholfen werden, sofern er bereit ist, sich als Angehöriger einer Minderheit in der Minderheit identifizieren zu lassen: schwule Väter, schwule Katholiken, schwule Rollstuhlfahrer, schwule Senioren … Nicht zu vergessen: schwule „Menschen mit HIV und AIDS“. Kein Marktsegment bleibt ohne Anteil an der Heilsbotschaft: Du gehörst dazu.

Trauring, aber wahr
Zum Glück fehlt dann nur noch eines: der Trauschein, der’s amtlich macht. Die Ehe und die aus ihr hervorgehende Familie (siehe „Adoptionsrecht für Schwule und Lesben“) sind ja bekanntlich die Keimzellen unseres schönen Gemeinwesens. Und wer wollte da nicht gerne mitkeimen, statt steril und einsam abseits zu stehen.
Heiraten muß schön sein, meinen manche derer, denen die Gesetzeslage dieses Groschenheftglück verwehrt: Brautschleier, Zylinderhut, geworfene Reis und weinende Schwiegeroma … Was zählt es da, daß selbst im katholischen Österreich jede dritte ehe geschieden wird.
Statt neue Beziehungsformen zu leben und deren rechtliche Ausgestaltung zu diskutieren (was nichts Homo-Spezifisches wäre), setzen die ungetreuen Erben der ehemaligen Homosexuellenbewegung voll auf das zudem medienwirksame Thema „Homo-Ehe“. Das ist die Schwundform des Politischen.
Einst wurde, von Feministinnen und schwulen Aktivisten gleichermaßen, die Ehe als menschenunwürdige Zwangsinstitution denunziert. Ihr Verschwinden galt als selbstverständlicher Effekt eines gesamtgesellschaftlichen Emanzipationsprozesses. Ohne Einschränkungen durch Klasse, Rasse, Alter, Geschlecht oder sexuelle Orientierung sollten die befreiten Subjekte zu einem selbstbestimmten Umgang mit Körpern und Lüsten finden.
Aus der Traum. Was heute Sache ist, bestimmen Fragen des Versicherungs- und Mietrechts. Lebensgemeinschaften, auch gleichgeschlechtliche, sind Wirtschaftseinheiten. Daher wird es zur „Homo-Ehe“ (respektive zu „registrierten Partnerschaften“) nicht aufgrund idealistisch-moralisierender Gleichstellungsforderungen kommen, sondern allenfalls aufgrund der Gesetze des Marktes.

Andersrum ist nicht anders
Während von Talkshow zu Talkshow die frohe Kunde geht, daß „die“ schließlich auch nicht anders als „wir“ sind, ist den Schwulen irgendwie das Politische abhanden gekommen. Vielleicht haben die intensiven Vorbereitungen zu Life Ball, Regenbogenparade und anderen Mega-Events die Utopiefähigkeit einfach absorbiert. Einmal mit Heide Schmidt in den „Seitenblicken“ und schon sind alle Ambitionen befriedigt.
Wer unter dem Banner des „Regenbogens“ marschiert, braucht nicht mehr Farbe zu bekennen. Eines freilich fehlt in diesem Spektrum: das Schwarz der Verneinung. Wenigstens die (Denk-)Möglichkeiten sollte man sich bewahren, nicht nur „Hurra, wir kommen!“ zu schreien, sondern auch mal: „Mit uns nicht, meine Herren!“
Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen kann durchaus mit dem Anspruch auf mehr mediale Präsenz verbunden werden. Ein programmatisches Armutszeugnis ist es allerdings, wenn man das System der öffentlichen Meinungen für nichts anderes zu kritisieren weiß, als daß man nicht oft genug darin vorkommt.
Keine Angst, die Schwulen gehören längst dazu. Gerade das aber mag einige wenige bedrücken. Je umfangreicher und lückenloser die soziale Akzeptanz ist, die den ehemaligen Außenseitern entgegenschlägt, desto nachhaltiger unterwirft sich der schwule Mikrokosmos den Gesetzen des heterosexuellen Makrokosmos. Gefragt ist nicht echte und daher möglicherweise widerständige Individualität, sondern freudige Annahme vorgeformter Identitäten. Am Ende sind dann wirklich alle gleich: erkennbar, einordenbar, berechenbar, kontrollierbar, verfügbar.

Erschienen in: Volksstimme 29 / 17. Juli 1997, S. 10.