„Wie jeder andere auch“ (CSD 1998) Drucken

Zu Wiener Regenbogen-Parade 1998

Sie marschierten wieder. Mit einer Woche Verspätung, denn der „Christopher Street Day” wäre ja eigentlich am Wochenende zuvor zu begehen gewesen. Aber wer so mutig für gleiche Rechte eintritt wie die Regenbogen-MarschiererInnen, der darf schon mal die Konkurrenz des Donauinselfestes fürchten. Zumal man sich ja an so ziemlich dasselbe Publikum richtet: die Schaulustigen und die Selbstdarsteller.
Zum dritten Mal also wählte man auch in Wien die aus Amerika importierte Demo-Form der „Parade”, um am aus Amerika importierten Gedenktag des „Stonewall Riot” die aus Amerika importierte Forderung nach „Equality” zu erheben (auch wenn man sinnigerweise ein U einfügte, auf daß man sich hierzulande ein Scheiberl von der EU-Qualität abschneide).
Nichts gegen Importe aus Amerika, aber die unkritische Übernahme von Formen und Inhalten verweist weniger auf die Universalität der Anliegen als vielmehr auf die Beschränktheit der VeranstalterInnen. Selbst wenn man nämlich der Regenbogen-Parade den guten Willen nicht abspricht, etwas an der verkorksten sexualpolitischen Situation in diesem Land ändern zu wollen, so bleibt es doch dabei, daß nicht nur die Ausdrucksformen dürftig und die formulierten Ziele unzureichend sind, sondern daß von vornherein die gesamte Antidiskriminierungs- und Menschenrechtspolitik auf falschen Voraussetzungen beruht.

Diskriminiert wird nicht
Zunächst einmal: In Österreich werden Homosexuelle vom Gesetz gar nicht diskriminiert. Auch wenn die Berufshomosexuellen und ihre Nachbeter in den Medien das behaupten. Für Homosexuelle gelten hierzulande genau dieselben Schutzaltersbestimmungen wie für Heterosexuelle. Und sogar heiraten können Schwule und Lesben.
Allerdings: Männer können keine Männer heiraten und Frauen keine Frauen. Nicht sexuelle Orientierung ist also das Kriterium, sondern die Geschlechtszugehörigkeit. Haarspalterei? Keineswegs. Durch diese Lücke in der Argumentation brächte man in Wirklichkeit ein ganzes trojanisches Pferd subversiver Lebensformenpolitik, und wahrscheinlich klafft da sogar ein Abgrund, der politische Welten trennt.
Es macht eben einen gewaltigen Unterschied, ob man im Namen einer nach dem Modell „Volksgruppenzugehörigkeit” („ethnicity“) konzipierten Minderheit eine angebliche „Gleichberechtigung” fordert, die tatsächlich nie etwas anderes meint als Integration in die ansonsten unverändert fortbestehenden Verhältnisse. Oder ob man gesamtgesellschaftlich denkt und gerade diese bestehenden Verhältnisse grundsätzlich verändern will — auch zum Nutzen der Schwulen und Lesben.

Wir Steuerzahler
Den VeranstalterInnen der Regenbogen-Parade freilich wäre dieser Unterschied wahrscheinlich selbst dann gleichgültig, wenn sie ihn verstehen würden. In einer Aussendung schreiben sie: „Manche sind …sexuell, andere wieder …- oder …sexuell — und allen macht’s Spaß. Das wirft die Frage auf, weshalb der …sexuelle Teil der Gesellschaft mit uns, der …sexuellen Minderheit zwar den Spaß, nicht aber auch die Rechte teilen will? (…) Wir sind ein Teil des Ganzen und wollen auch genauso fair behandelt werden — oder zahlen wir etwa keine Steuern, Pensionen, und arbeiten wir nicht genauso hart wie jeder andere auch?”
Ganz realistisch wird hier schon nicht mehr Integration gefordert — die ist ja längst vollzogen —, sondern deren Ausbau und Vervollkommnung. Es gilt eine neue, regenbogenfarbene Stammtisch-Logik: Wer Steuern zahlt, muß auch heiraten und Sex mit Unterachtzehnjährigen haben dürfen, egal ob homo oder hetero. Nicht was die Formen der Selbstdartstellung betrifft („Bunt und laut soll’s werden“), sondern bezüglich der Entpolitisierung ist das Spektakel am Ring also durchaus repräsentativ.
Die meisten Lesben und Schwulen in diesem Lande sind nämlich in der Tat genauso brave Staats- und SpießbürgerInnen „wie jeder andere auch”. Sie wollen in Ruhe gelassen werden, nicht die Welt verbessern. Die Schutzaltersbestimmung ist den meisten Schwulen völlig egal, denn die wenigsten stehen auf Jungs unter 18. Auch der Heiratswunsch ist keineswegs so verbreitet, wie die FunktionärInnen von HOSI & Co. glauben machen möchten. Und vermutlich ist nicht einmal der Anteil der FPÖ- und ÖVP-WählerInnen unter den Schwulen und Lesben wesentlich geringer als beim Rest der Bevölkerung.

Verhinderungspolitik
Apropos ÖVP. Daß die Paradierer überhaupt noch Nachbesserungsforderungen in puncto Integration erheben können, liegt nicht unwesentlich an dieser Österreichischen Verhinderer-Partei. Die Schwarzen gefallen sich in der Rolle des parlamentarischen Bremsklotzes, wohl weil sie zu recht vermuten, daß sie sich in diesem zurüchgebliebenen Land nur durch besondere Unbeweglichkeit als Konservative profilieren können. Also wundert es nicht, daß die ÖVP auch die hintertreibende Kraft bei der Beseitigung des Strafrechtsparagraphen 209 ist.
Dahinter steckt allerdings ebensowenig ein klares Konzept wie bei den anderen Verhinderungen (Waffengesetz, Promillegrenze, Handy am Steuer usf.). Denn so wenig die Verhinderer ernstlich für Amokläufer und volltrunkene Autofahrer eintreten können, so wenig verfügen sie auch nur über das klitzekleinste Argument gegen die Gleichbehandlung homo- und heterosexueller Aktivität. Man täte Khol und Konsorten zuviel der Ehre an, wenn man ihnen unterstellt, sie hätten grundsätzliche ideologische Bedenken. Denn dann dürfte es ja auch keine schwulen ÖVP-Politiker geben. Eher geht es um diffuse Stimmungen und die Rücksichtnahme darauf, daß Österreich den im EU-Vergleich zweitgrößten Anteil nichtstädtischer Bevölkerung hat. Das prägt.

Andere Prägungen
Prägend ist selbstverständlich auch der Einfluß der römisch-katholischen Kirche, aber man sollte ihn auch nicht überschätzen. Die vielbeschworene Sexualfeindschaft des Katholizismus existiert so nicht. Wie wäre es sonst zu erklären, daß so durch und durch katholische Nationen wie Spanien oder Polen die Ungleichbehandlung beim „Schutzalter” bereits 1822 (!) bzw. 1932 abschafften? Sollte bei den Erben der Christlichsozialen also Rücksicht auf klerikale Denkschemata im Spiel sein, dann handelt es sich dabei nicht um ein katholisches Phänomen, sondern um ein österreichisches.
Wenn man außerdem bedenkt, daß auch die Sozialdemokraten, die doch einst sogar über die absolute parlamentarische Mehrheit verfügten, sich bezüglich gesetzlicher Un-Gleichbehandlung homosexueller Betätigung nicht mit Ruhm bekleckert haben, dann wird klar, daß die Verhinderungspolitik der ÖVP bloß Symptom, nicht Ursache ist. Österreich ist sexualpolitisch einfach zurückgeblieben. Und daran könnte selbst ein Comig-out Jörg Haiders nichts ändern.
Die wirkliche Diskriminierung findet gar nicht auf der Ebene der Paragraphen statt. Sie läßt sich daher dort auch nicht beseitigen. Schon deswegen führen Apelle an „die PolitikerInnen” zu nichts. Die sogenannte Diskriminierung beginnt und endet im sogenanten Alltag, der von heterosexueller Hegemonie geprägt ist. Ohne so altbackene Konzepte wie Kritik an Zwangsheterosexualität und Patriarchat — wer erinnert sich noch? — wird man freilich diesen Verhältnissen weder theoretisch noch praktisch beikommen.

Aufstand der KleinbürgerInnen
Je bunter und lauter die Regenbogen-Parade sein möchte, desto mehr erhärtet sich der Verdacht, daß die „…sexuellen”, um deren Rechte es angeblich geht, eine auf neoliberale und heterosexualitätskompatible Stromlinienform gebrachte Clique sind. Man mache die Probe aufs Exempel und füge anstelle der ach-so-unverllemmten drei Punkte die Vorsilbe „pädo” ein — und man wird merken, wie rasch Toleranz und Solidarität ein Ende haben. Als schriller Paradiesvogel oder seriöser AIDS-Aktivist kann man in Öffentlichkeit punkten. Als „Kinderschänder” nicht, und auch nicht, beispielsweise, als Arbeitsloser, weil der ja (siehe oben) nicht „genauso hart” arbeitet „wie jeder andere auch”. Was also da am Ring beansprucht, für die Schwulen und Lesben zu sprechen, spricht in Wirklichkeit nur für sich: für die Berufshomosexuellen und den homosexuellen Mainstream. CSD ‘98: Aufstand der KleinbürgerInnen, die genug davon haben, daß ihnen ihr bißchen sexuelle Abweichung die Karriere vermasselt.
Selbstverständlich gibt es aber unter den TeilnehmerInnen auch solche, die sich zum Spektakel ihre eigenen Gedanken machen. Die Gegenstimmen werden zahlreicher und irgendwann vielleicht vom Geschwafel der Publikumslieblinge nicht mehr zu übertönen sein. „Abseits der bunten Verrücktheit muß ein Weg zurück zu mehr politischem Bewußtsein gefunden werden”, schrieb etwa Thomas Fröhlich kurz vor der Parade im schwulen Teil der Rosa-Lila-Tip-Zeitung „Die V.” Dieser „Weg zurück” ist wahrscheinlich der einzige Weg nach vorn.


FALLBEISPIEL
Ein „Homocaust” findet nicht statt

Welche Sumpfblüten eine panisch auf Antidiskriminierung ausgerichtete „Politik” treiben kann, belegt eine Presse-Aussendung der HOSI Wien. Darin wird deren Obmann, Christian Högl, bezüglich der „Nichtanerkennung von in Dänemark, Schweden oder den Niederlanden legal geschlossenen Eingetragenen Partnerschaften gleichgeschlechtlicher Paare durch Österreich”mit den Worten zitiert: „Wenn sich solche Paare in Österreich niederlassen wollen, fallen sie hier in den Status von Fremden zurück. Daß muß ihnen ungefähr dasselbe Gefühl geben, das jüdisch und nicht-jüdisch gemischte Ehepaare vor rund 60 Jahren in Österreich haben mußten, als deren Partnerschaften über Nacht ungültig und illegal wurden.”
Bevor man sich im Diskriminierungsrausch zum rosa Winkel auch noch den gelben Stern ansteckt, sollte man sich vielleicht doch besser informieren. Keineswegs wurden die sogenannten „Mischehen” 1935 bzw. 1938 durch den NS-Staat aufgelöst. Im Gegenteil war das Fortbestehen ihrer Ehe mit einem „Arier” oder einer „Arierin” für viele „NichtarierInnen” eine Überlebenschance und oft ihre Rettung. Und daß ihre Gefühle angesichts von Entrechtung, Entwürdigung, Folter und Mord denn doch etwas anders gelagert waren als die der armen Hascherln, deren zivilrechtlicher Vertrag (von „Ehe” kann in Wirklichkeit keine Rede sein) in Österreich nicht anerkannt wird, braucht wohl kaum argumentiert zu werden.
Wer ein juristisches Spezialproblem allen Ernstes zum Vorboten faschistischer Repression, sozusagen zum „Homocaust”, hochstilisiert, wer fremdes Leid für die eigenen, sehr beschränkten Zwecke vereinnahmt, treibt nicht „Menschenrechts”-Politik, sondern macht sich bestenfalls lächerlich. Es ist nun einmal so: Die „eingetragene Partnerschaft” ist kein Menschenrecht. Die Nichterfüllung des (früher hätte man zu sagen gewagt: spießbürgerlichen) Wunsches nach einem Trauschein als Menschrenrechtsverletzung auszugeben, und so mit Folter, Kinderarbeit, Hunger, Krieg usf. gleichzusetzen, ist infam. Aber für die HOSI offensichtlich ganz normal.

Beide Texte erschienen in: Volksstimme 28 / 9. Juli 1998, S. 5.