Aufmarsch der Arschkriecher (CSD 2001) Drucken

Die hauptberuflichen „Lesben Schwulen, Bisexuellen und TransGender-Personen“ wollen nicht die Gesellschaft verändern, sondern sich ihr anpassen.

Heterosexualität, verkündet Doron Rabinovici als Vertreter der „Demokratischen Offensive“ im „Europride Guide“, der offiziellen Begleitbroschüre des derzeit in Wien stattfindenden „Europride 2001“, Heterosexualität sei nur ein Grund mehr, an der Regenbogen-Parade teilzunehmen. Der gute Mann irrt. Heterosexualität ist der einzige Grund, an der Regenbogen-Parade teilzunehmen. Es lässt sich leicht zeigen, warum.
In der guten alten Zeit hatten politische Bewegungen, denen es um die Interessen sozial Marginalisierter ging, stets das Ziel, auf die Gesellschaft als ganze Einfluss zu nehmen und die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu verändern. So wollten z.B. früher die Feministinnen nicht einfach nur ein Stückchen mehr vom Kuchen auch für die Frauen, sondern sie stellten das Patriarchat und den Sexismus überhaupt in Frage. Und einst traten auch (zumindest) die (radikaleren unter den) „nichtweißen“ BürgerechtlerInnen in den USA nicht bloß für die Integration der „Farbigen“ in die „weiße“ Welt ein, sondern wandten sich prinzipiell und fundamental gegen Rassismus und „weiße“ Werte.
Was von der Bewegung der Schwulen und Lesben, die es Gerüchten zufolge früher einmal gegeben haben soll, heute noch übrig ist, hat mit solch grundsätzlichen Erwägungen nichts mehr am Hut. Das Eintreten für das Recht auf Homosexualität wird von den selbsternannten VertreterInnen der „Lesben Schwulen, Bisexuellen und TransGender-Personen“ nicht mehr als Kampfansage an eine durch und durch heterosexuelle Gesellschaft verstanden, sondern als Bitten und Betteln einer fundamental braven Minderheit um Toleranz, Integration und Karriere.
Im schon zitierten „Europride Guide“ schreibt darum Veit Georg Schmidt unter dem Titel „Von der Bewegung zur Zielgruppe / A Movement Trying to Identify A Target Group“ auch ganz offen: „Lesbische und schwule AktivistInnen orientieren sich zunehmend bei der Formulierung ihrer politischen Ziele an den Modellen des Wirtschaftssystems. Neben dem Risiko der Banalisierung der politischen Ziele bringt diese Veränderung jedoch auch die Chance zunehmender Berechenbarkeit der AktivistInnen.“ Ersetzt man „Risiko“ und „Chance“ durch „Tatsache“, stimmt das völlig. Diese „AktivistInnen“ sind berechenbar: Es sind Nullen. Und unter Null sind auch die angeblichen politischen Ziele zu verbuchen, von solchen ist im ganzen „Europride Guide“ nämlich nichts zu finden. Es sei denn, man hält das Recht aufs Heiraten für etwas Fortschrittliches; ewiggestrige Linkslinke könnten darin freilich einfach ein rechtskonservatives Projekt erkennen wollen.
Gesellschaftspolitik, Ökonomie oder radikale Kulturkritik sind jedenfalls auf dem Wunschzettel der IntegrationsfanatikerInnen nicht angekreuzt. (Und was den Austroanteil an der Entpolitisierung des Europride betrifft, die mechanisch vorgebrachte Bitte um die Abschaffung des § 209 — für sich genommen selbstverständlich eine berechtigte Forderung —, so passt die Selbstbestimmungsrhetorik irgendwie nicht zur Ausgrenzung der Pädophilen …)
Wo’s um nichts geht, kann niemand etwas dagegen haben. Wer nichts fordert, ist niemandem im Weg und alle Türen stehen offen. Die wohlwollende Unterstützung der offiziellen Stellen und hoher Damen und Herren ist darum im Voraus gesichert. Der Bürgermeister z.B. schützt die Ehre und wünscht gute Unterhaltung. An allen Straßenbahnen flattern Regenbogenfähnchen, aber keine Angst, der Fahrpreis ist noch derselbe …
„Es steht geschrieben“, verkündet der schon zitierte Doron Rabinovici mit biblischem Pathos, „der Regenbogen sei nach der Sintflut entstanden, ein Zeichen der Hoffnung. Unser Regenbogen ist nicht bloß bunt, er ist das Spektrum einer menschlicheren Zukunft.“ Amen, Bruder, Amen. Nun ist es freilich nicht gerade das Problem der westlichen Industriegesellschaften, dass sie sie zu grau sind. Die Welt der Marktwirtschaft schillert offensichtlich in noch mehr Farben als der Regenbogen. JedeR kann sich was aussuchen. Rabinovici etwa wählt heute eine „Koalition gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie“, morgen vielleicht eine Koalition gegen Rassismus und Tierquälerei und übermorgen dann eine Koalition gegen Sexismus und das Anpinkeln von Hauswänden. Solche Bündnispartner brauchen die RegenbogenmarschiererInnen: Die Inhalte sind beliebig austauschbar, nur die Inbrunst der Lippenbekenntnisse bleibt gleich und der feste Wille, dabei zu sein.
Weil sie nicht bloß am Rand des Geschehens stehen, sondern mitten hinein in die unveränderten und darum unverändert schlechten gesellschaftlichen Verhältnisse wollen, weil sie tüchtig mitmachen möchten, kann aber so richtig „queeren“ AktivistInnen, die die Zeichen der Zeit verstanden haben, bloße Anbiederei nicht genügen. Her mit der Gleitcreme Marke Selbstverleugnung! Die Praxis des coitus per anum, vulgo Analverkehr, war und ist ein beliebter Aufhänger schwulenfeindlicher Witze und damit Ausdruck antischwuler Ressentiments. Seit aber die vorgeblich Arschfickenden und Arschgefickten kein heiligeres Anliegen mehr haben sollen, als vor der Gesellschaft, in die sie bitte, bitte eingegliedert werden wollen, „stolz“ und „selbstbewusst“ auf den Knien zu liegen, ist Arschkriecherei zur einzigen „politischen“ Strategie geworden.
Während, wie gesagt, früher mal politische Bewegungen die Gesellschaft verändern oder zumindest beeinflussen wollten, möchte die karrierebewusste und darum integrationsgeile Avantgarde der virtuellen „queer community“ nur noch sich an die Gesellschaft anpassen. Mit Eventmacherei à la „Europride“ samt anschließendem Aufmarsch der Normalos sämtlicher Orientierungen (Abartige selbstverständlich ausgenommen) soll „offen und fröhlich“ zum Entertainment des Establishments beigetragen werden und gnadenlos „sichtbar“ gemacht werden, dass man — von ein bisschen aufgesetzten Exotismus abgesehen — haargenau so normal ist, wie die Heteros und Heteras auch. Das Schlimme ist, dass man das nicht Schande empfindet, sonder als Vorzug. Arschkriechen macht eben blind.

Dieser Text sollte als Aufmacher in der „Volksstimme“ (Nr. 24, 14. Juni 2001) erscheinen, also zur Zeit der Wiener Regenbogenparade, die in jenem Jahr zugleich eine Veranstaltung des „Europride“ war. Nach viel Widerstreben und einigen Verhinderungsversuchen war der Artikel schließlich von der zuständigen Redakteurin doch noch zugelassen worden, und die Zeitung ging in Druck. Es war sogar bereits damit begonnen worden, sie auszuliefern, als auch der selbsternannte Herausgeber (und KPÖ-Vorsitzende) den Text las und beschloss, es handle sich um eine Beleidigung von Lesben und Schwulen, weshalb die gesamte Auflage der (übrigens auch mit Steuermitteln finanzierten, aber stets über Geldnöte klagenden) Zeitung eingestampft und mit anderem Aufmacher neu gedruckt werden müsse. Das darf man ruhig sich auf der Zunge zergehen lassen: Der heterosexuelle Chef einer Partei, die einst Teil einer politischen Bewegung war, die in den osteuropäischen (und einigen asiatischen) Staaten dafür sorgte, das Homosexualität kriminalisiert wurde, erklärt einem schwulen Autor, was Homosexuelle beleidigt … Und zwar angeblich so schwer beleidigt, dass man es sich lieber den Neudruck einer ganzen Auflage kosten ließ, als dem LGBT-Mainstream den Tort anzutun, auszusprechen, was dieser selbst damals wie heute ganz freimütig bekannte: die freudige Entpolitisierung und die kritiklose Integration in die kapitalistischen Verhältnisse. Eine Sternstunde austrokommunistischer Dummheit!