Umtriebiges Ungenügen Drucken

Eine kritische Würdigung zum 100. Todestag von Klaus Mann.

Er hatte von Anfang an unzählige Möglichkeiten und vielleicht deshalb nie eine Chance. Der Sohn des berühmtesten deutschen Schriftstellers seiner Zeit zu sein, war sein allseits bekanntes Schicksal, dem zu entkommen er weder willens noch fähig war. Lebenslang war die Familie im Guten wie im Schlechten Bedingung seines Daseins und ist es sogar sechs Jahrzehnte nach seinem Tod immer noch. Denn wer vom Sohn spricht, will vom Vater nicht schweigen. Nun war es gewiss kein Spaß, Thomas Manns Sohn sein zu müssen, doch warum musste gerade Klaus, anders als seine Brüder Golo und Michael, dem Vater unbedingt auf dessen ureigenstem Feld, der Literatur, nacheifern und entgegentreten wollen? Er fing schon an zu schreiben, bevor er es können konnte, und bei diesem Ungenügen ist es dann trotz aller Begabung und Geschicklichkeit geblieben. Er schrieb nie so gut, wie er gekonnt hätte, wenn er das Schreiben ernster oder gelassener genommen hätte, und schon gar nicht so gut, wie er gemusst hätte, um ohne den Vater oder wenigstens neben ihm bestehen zu können.
Gewiss war er phasenweise enorm fleißig. Wo er ging und stand, nahm er dann nicht nur die Pose des vielbeschäftigten Autors ein (wie eine Unmenge von Fotos beweist, die ihn in Hotelzimmern und Cafés außer beim Reden auch beim Lesen und Schreiben zeigen), sondern er war auch wirklich einer. Die schiere Quantität des in kaum drei Jahrzehnten Geschriebenen ist beeindruckend. Doch war ja die Schriftstellerei stets nur ein Aspekt seiner hektischen Existenz. Er betrieb sein Leben als Erfahrungsrausch, als vielfältiges Experiment — aber Experimente können eben leider auch scheitern. Und Klaus Mann ist gescheitert, und zwar in erster Linie an sich selbst.
Kann man es wirklich tragisch nennen oder ist es doch eher bloß persönliches Versagen, wenn einer, dem so viele Möglichkeiten für persönliche Entfaltung und beruflichen Erfolg gewährt werden, aus lauter Selbstverliebtheit und Selbsthass nichts Rechtes daraus zu machen versteht? Niemand hat ja Klaus Mann gezwungen, drogensüchtig zu werden, niemand hat von ihm verlangt, dass er zeitlebens vom Ruhm und von den finanziellen Zuwendungen des Vaters abhängig bleibt. Unwahr ist also die Legende vom armen, angefeindeten, zu Tode gehetzten Klaus Mann, auch wenn sie noch heute viele Abnehmer findet. Denn, herrje!, andere haben doch auch Väter, Ängste, Verzweiflungen, Misserfolge, andere sind doch auch homosexuell, müssen auch um Anerkennung und Auskommen kämpfen. Da macht man eben was draus und reiht nicht einfach gescheiterte Selbstmordversuche aneinander, bis es dann, ob’s nun wirklich Absicht oder doch bloß dummer Zufall war, endlich einmal klappt. Gewiss, jeder Suizid ist eine Anklage gegen die Welt, aber manchmal kann die Welt sich eben auch rechtfertigen und der Kläger rutscht selbst in die Rolle des Beklagten. — Dass sein Freitod ein Fanal hätte sein sollen, ist übrigens, mag sie auch noch so oft nachgebetet werden, keine überzeugende Hypothese, denn die von Klaus Mann aufgestellte Forderung, dass einige Intellektuelle, indem sie sich umbrächten, die Welt wachrütteln sollten, ist ein so bizarres Konzept, das selbst sein Urheber es außerhalb des Drogenrausches gewiss nicht Ernst genommen hätte …
Klaus Manns Werk wird, daran ist nicht zu zweifeln, auch in absehbarer Zukunft durchaus gelesen oder zumindest zitiert werden, ob es aber eigenständige literarhistorische Bedeutung hat, ist fraglich. Denn wenn auch weiterhin alles, was mit der Familie Mann zu tun hat, einem lesenden Publikum mehr oder minder interessant sein wird — also auch und gerade die pikanten Details der Biographie des schwarzen Schafes Klaus —, bleibt die Qualität seiner Texte doch definitiv hinter der Dimension ihrer Bekanntheit zurück. Beschämend genug, dass als Klaus Manns bis heute bekanntestes und beliebtestes Werk der denunziatorische Kolportageroman „Mephisto“ gelten darf, der nicht nur eine fast völlige Unkenntnis des „Dritten Reiches“ bezeugt, sondern auch auf geradezu unappetitliche Weise ungerecht gegen den Ex-Freund, Ex-Schwager und vielleicht Ex-Liebhaber Gründgens ist, der der Hauptfigur bekanntlich als Vorbild dienen musste. Ausgerechnet Klaus Mann, von dem der zu Recht berühmte Satz stammt, dass es einen nicht zum Banditen mache, wenn man mit ein paar Banditen (wie Röhm) die sexuelle Veranlagung gemeinsam habe, lässt sich hier darauf ein, sexuelle Abweichung und Faschismus in ein ungutes Naheverhältnis zu bringen. Das ist nicht nur dumm und geschmacklos, sondern im Grunde, wenn man bekanntermaßen selbst ein sexueller Abweichler ist, ein weiterer Beitrag zur Selbstzerstörung, der dadurch, dass er „antifaschistische“ Ressentiments bedient, nicht nur nicht gerechtfertigt, sondern im Gegenteil völlig zur Ungeheuerlichkeit wird.
Klaus Mann war aber eben in Wahrheit ein insgesamt unpolitischer Mensch und sein ganzer so nachdrücklich vorgebrachter Antifaschismus war eher eine, wenn auch existenzielle, Attitüde als ein politisches Programm; war eher gespeist aus persönlicher Kränkung und der Lust, endlich einen allgemeinen Feind und viele Kampfgenossen zu haben, als aus intellektueller Analyse. Klaus Mann blühte auf, als er nicht mehr nur ein Verachteter, sondern auch ein Vertriebener war und damit zum ersten (und auch letzten) Mal im Leben eine halbwegs klare Position einnehmen durfte, noch dazu auf der richtigen, weil anständigeren und womöglich machtvolleren Seite. Nicht zuletzt, weil die große Schwester Erika es ihm vorsagte, wusste er ganz genau, wogegen er war, über alles andere aber ließ er sich und seine Leser eher im Unklaren. Was er sich nach dem mit allen Mitteln herbeizuführenden Untergang der rassistischen Terrorregimes für Europa erhoffte, blieb diffus und prätentiös.
Wie aber hätte er, der von Publikationsvorhaben zu Publikationsvorhaben, von Kongress zu Kongress, von Vortrag zu Vortrag jagte, auch noch Zeit finden sollen, Ideen zu entwickeln? Zumal er den Konsum von Berühmtheiten, Liebhabern und Drogen noch in seinem Terminplan unterbringen musste. Doch gerade mit seiner oft reichlich hohl klingende Rhetorik war er in einer Zeit, in der die Propagierung von Worthülsen überall gut bezahltes Tagesgeschäft war, der rechte Mann. Seine Vorstellungen vom Sozialismus, so nobel und zu Herzen gehend sie klangen, hatten aber weder mit der möglichen Realität des stalinistischen Ostens noch mit den realistischen Möglichkeiten des kapitalistischen Westens etwas zu tun. Seine Bereitschaft zur Selbsttäuschung über vermeintliche Alternativen von links sank jedoch schließlich ohnehin rapide, als er entdecken musste, dass die kommunistische Homosexuellenfeindschaft keineswegs ein vorübergehendes Versehen, sondern dauerhafte Absicht und tödlicher Ernst war.
Dass seine Art der sexuelle Abweichung in bürgerlich-demokratischen Gesellschaften mehr als verpönt war, wusste er hingegen von vornherein nur zu gut. Gerade deshalb hatte er, den man für einen der bekanntesten „offen Homosexuellen“ seiner Zeit hätte halten können, weder Skrupel noch Probleme, den amerikanischen Streitkräften seine in diesen strikt verbotene Homosexualität zu verheimlichen, um Soldat werden zu können. So kämpfte er, der erklärte Pazifist, dann auch als Teil der Militärmaschinerie gegen den Faschismus. Doch irgendwann war der Krieg endlich gewonnen. Und plötzlich fehlten ihm Feind und Freund. Ohne diese aber fiel ihm nichts mehr ein.
Klaus Mann ist, man darf und muss es sagen, letztendlich gescheitert. Jedoch nicht daran, dass er homosexuell war und alle Welt das wusste. Damit hätte er, zumal in seinen Kreisen, gut leben können. Er ist daran gescheitert, dass Homosexualität, Drogensucht, Sohn eines berühmten Vaters zu sein und ein Weltkrieg nicht genügen, wenn man dringend Ausreden dafür benötigt, warum man eigentlich aus seiner Begabung zwar nicht nichts, aber viel zu wenig gemacht hat, oder warum Wollen und Können immer wieder so offensichtlich auseinanderklafften. Gerade sein Scheitern aber scheint ihn für viele zur schlüssigen Gestalt zu machen, sind doch Homosexualität und (sozialer wie physischer) Tod ohnehin fixe Assoziationen im öffentlichen Unbewussten. Ein schwuler Schriftsteller, der sich umbringt, bringt wenigstens post mortem die besten Voraussetzungen mit, um endlich anerkannt zu werden. Klaus Manns Texte werden also, aus mancherlei Gründen, weiterhin ihrer Leser finden. Ein großer Schriftsteller war er zwar nicht. Aber immerhin eine interessante Persönlichkeit.

Dieser Text erschien in "Gigi" Nr. 46 (Nov./Dez. 2006), wird hier aber nach meinem Manuskript wiedergegeben, eventuelle redaktionelle Bearbeitungen wurden nicht berücksichtigt.